Delir

Veröffentlicht am 12. Juni 2025 um 22:27

Delir

Als Delir wird eine akute, vorübergehende, meist reversible fluktuierende Störung der Aufmerksamkeit, der Kognition und des Bewusstseinsniveaus bezeichnet. Die Ursachen umfassen fast jede Krankheit oder Arzneimittelwirkung. Die Diagnose wird klinisch gestellt, Labortests und üblicherweise Bildgebungsverfahren dienen der Ursachenklärung. Die Behandlung besteht in der Korrektur der zugrunde liegenden Störung und unterstützenden Maßnahmen.

Ein Delir kann in jedem Alter auftreten, es ist jedoch bei älteren Patienten häufiger. Mindestens 10% der älteren Patienten, die in ein Krankenhaus eingeliefert werden, haben ein Delir; 15–50% erleben ein Delir irgendwann während eines stationären Aufenthalts. Ein Delir ist ebenfalls häufig nach Operationen und bei Bewohnern von Pflegeheimen und Patienten auf Intensivstationen. Wenn ein Delir bei jüngeren Menschen auftritt, ist es in der Regel auf die Verwendung eines Medikaments (Freizeitdroge oder Medikamente) oder eine lebensbedrohliche systemische Erkrankung zurückzuführen.

Ein Delir wird manchmal auch akuter Verwirrtheitszustand oder toxische oder metabolische Enzephalopathie genannt.

Delir und De,enz sind unterschiedliche Störungen, die jedoch manchmal nur schwer voneinander unterschieden werden können. Bei beiden ist die Kognition gestört; jedoch hilft Folgendes diese zu unterscheiden

  • Ein Dellir betrifft vor allem die Aufmerksamkeit, wird in der Regel durch eine akute Erkrankung oder Drogen- bzw. Arzneimitteltoxizität (zuweilen lebensbedrohlich) verursacht und ist häufig reversibel.

  • Eine Demenz betrifft hauptsächlich das Gedächtnis, wird in der Regel durch anatomische Veränderungen im Gehirn verursacht, zeigt einen langsamen Beginn und ist üblicherweise irreversibel.

Andere Charakteristika tragen auch dazu bei, die beiden Störungen zu unterscheiden. Ein Delir entwickelt sich häufig bei Patienten mit Demenz; es wird als überlagerndes Delir bei Demenz bezeichnet. DSD kann bei bis zu 49% der Patienten mit Demenz während eines Krankenhausaufenthalts auftreten. Auch haben Patienten mit Delir ein höheres Risiko, an Demenz zu erkranken .

Ätiologie des Delirs

Die häufigsten Ursachen von Delir sind:

  • Arzneimittel, insbesondere Anticholinergika, psychoaktive Substanzen oder Medikamente und Opioide

  • Dehydrierung

  • Infektion

Viele andere Störungen können ein Delir verursachen. Bei 10–20% der Patienten kann keine Ursache identifiziert werden.

Prädisponierende Faktoren sind Gehirnerkrankungen (z. B. Demenz, Schlaganfall, Parkinson), fortgeschrittenes Alter, sensorische Störungen (z. B. beeinträchtigtes Seh- oder Hörvermögen), Alkoholintoxikation und multiple Komorbiditäten.

Auslösende Faktoren sind: Gebrauch von Arzneimitteln (insbesondere  3 neue Medikamente), Infektion, Dehydrierung, Schock, Hypoxie, Anämie, Immobilität, Unterernährung, Einsatz von Blasenkathetern (mit oder ohne Harnverhalt), Krankenhausaufenthalt, Schmerz, Schlafentzug und emotionaler Stress. Unerkanntes Leber- oder Nierenversagen kann Arzneimitteltoxizität und Delir verursachen, indem der Stoffwechsel beeinträchtigt und die Clearance eines zuvor gut verträglichen Arzneimittels verringert wird.

Ein Delir kann ein häufiges Symptom bei älteren Patienten mit einer Viruserkrankung sein. So kann beispielsweise die Coronavirus-Krankheit 2019 (COVID-19) häufig ein Delir verursachen, ohne dass andere typische Symptome oder Anzeichen für COVID-19 vorliegen. Bei Patienten mit COVID-19 ist es wahrscheinlicher, dass das Delir zu einem schlechten Outcome bei Hospitalisierung (z. B. Notwendigkeit einer Intensivpflege) und zum Tod führt.

Eine kürzliche Exposition gegenüber Anästhetika erhöht ebenfalls das Risiko, besonders wenn die Narkose lange angedauert hat und wenn während der Operation Anticholinergika gegeben wurden. Postoperativ können Schmerzen und die Verwendung von Opioid-Analgetika zu einem Delir beitragen. Verminderte sensorische Reize bei Nacht können bei Risikopatienten ein Delir auslösen.

Für ältere Patienten auf einer Intensivstation ist das Risiko für ein Delir besonders hoch (Durchgangssyndrom). Ein nichtkonvulsiver Status epilepticus (Tod bei Epilepsie) ist eine unterschätzte Ursache für einen veränderten mentalen Status bei Intensivpatienten, die in Betracht gezogen werden sollte.

Symptome und Anzeichen von Delir

Delirium ist in erster Linie charakterisiert durch

  • Schwierigkeiten bei der Fokussierung, Aufrechterhaltung oder dem Wechsel der Aufmerksamkeit (Unaufmerksamkeit).

Das Bewusstseinsniveau fluktuiert, die Patienten sind zu Zeit und manchmal zu Ort und zur Person desorientiert. Sie können Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Paranoia haben. Verwirrtheit bezüglich alltäglicher Ereignisse und der täglichen Routine ist häufig, ebenso Veränderungen der Persönlichkeit und des Affekts. Das Denken wird desorganisiert, die Sprache ist oft gestört, mit markantem Nuscheln, Schnelligkeit, Neologismen, aphasischen Fehlern oder chaotischen Sprachmustern.

Die Symptome eines Delirs fluktuieren über Minuten bis Stunden; sie können tagsüber zurückgehen und sich in der Nacht verschlechtern.

Zu anderen Symptomen können auch unangemessenes Verhalten, Furchtsamkeit und Paranoia gehören. Die Patienten können reizbar, agitiert, hyperaktiv und überwach werden, oder umgekehrt ruhig, zurückgezogen und lethargisch. Sehr alte Menschen mit Delir neigen dazu, ruhig zu werden und sich zurückzuziehen–diese Veränderungen können möglicherweise als Depression missdeutet werden. Manche Patienten schwanken zwischen beiden Zuständen.

Meist sind die Schlafmuster und die Essgewohnheiten massiv gestört.

Aufgrund der vielen kognitiven Beeinträchtigungen ist die Krankheitseinsicht gering und die Urteilsfähigkeit gestört.

Andere Symptome und Beschwerden können je nach Ursache vorliegen.

Diagnose von Delir

  • Erhebung des psychopathologischen Befunds

  • Standard-Diagnostik-Kriterien zur Bestätigung eines Delirs

  • Gründliche Anamnese

  • Gezielte körperliche Untersuchung und ausgewählte Tests zur Ermittlung der Ursache

Ein Delir wird insbesondere bei älteren Patienten oft von Ärzten übersehen. Kliniker sollten bei einem älteren Patienten, der mit einer Beeinträchtigung des Gedächtnisses oder der Aufmerksamkeit imponiert, ein Delir (und Demenz) in Betracht ziehen.

Erhebung des psychopathologischen Befunds

Patienten mit jedwedem Hinweis auf eine kognitive Beeinträchtigung benötigen eine formale Untersuchung des psychischen Status. 

Zuerst wird die Aufmerksamkeit beurteilt. Einfache Tests beinhalten die sofortige Wiederholung der Namen von 3 Gegenständen, das Zahlennachsprechen (Fähigkeit, 7 Ziffern vorwärts und 5 Ziffern rückwärts zu wiederholen) und das Benennen der Wochentage vorwärts und rückwärts. Unaufmerksamkeit (der Patient nimmt Anweisungen oder andere Informationen nicht zur Kenntnis) muss von einem schlechten Kurzzeitgedächtnis (der Patient nimmt Informationen auf, vergisst sie aber sehr schnell) unterschieden werden. Weitergehende kognitive Tests sind bei Patienten, die Informationen nicht aufnehmen können, zwecklos.

Nach der Eingangsuntersuchung können standardisierte diagnostische Kriterien wie das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 5th Edition (DSM-5) oder die Confusion Assessment Method (CAM) eingesetzt werden.

Die folgenden Merkmale werden für die Diagnose eines Delirs nach DSM-5-Kriterien benötigt:

  • Störungen der Aufmerksamkeit (z. B. Probleme, zu fokussieren oder dem zu folgen, was gesagt wird) und des Bewusstseins (d. h. reduzierte Orientierung in der Umgebung)

  • Die Störung entwickelt sich über einen kurzen Zeitraum (über Stunden bis Tage) und neigt dazu, im Laufe des Tages zu schwanken.

  • Akute Veränderung der Kognition (z. B. Defizite von Gedächtnis, Sprache, Wahrnehmung, Denken)

Darüber hinaus müssen Hinweise aus der Anamnese, der körperlichen Untersuchung und/oder von Labortests darauf hindeuten, dass die Störung durch eine medizinische Störung verursacht wird, eine Substanz (einschließlich Arzneimittel oder Toxine) oder Substanzentzug.

CAM verwendet die folgenden Kriterien:

  • Verändertes Bewusstseinsniveau (z. B. überwach, lethargisch, stuporös, komatös) oder Denkstörungen (z. B. ausschweifend, irrelevante Konversation, unlogischer Ideenfluss)

Anamnese

Die Anamnese wird durch Befragung von Angehörigen, Betreuern und Freunden erhoben. Sie kann feststellen, ob die psychischen Veränderungen neu sind und sich von einer eventuell zugrunde liegenden Demenz unterscheiden. Die Anamnese hilft, eine psychische Störung von einem Delir zu differenzieren. Psychische Störungen verursachen, anders als ein Delir, fast nie eine Unaufmerksamkeit oder fluktuierendes Bewusstsein, und der Beginn psychischer Störungen ist nahezu immer subakut.

"Sundowning" (Verhaltensverschlechterung in den Abendstunden), das bei institutionalisierten Patienten mit Demenz häufig vorkommt, kann schwer zu unterscheiden sein; eine neue symptomatische Verschlechterung sollte bis zum Beweis des Gegenteils für ein Delir gehalten werden.

Die Anamnese sollte auch den Gebrauch von Alkohol, allen Freizeitdrogen, freiverkäuflichen und verschreibungspflichtigen Arzneimitteln umfassen; gezielt sollte nach Arzneimitteln mit zentralnervösen Wirkungen gefragt werden und nach Ergänzungen, Unterbrechungen oder Dosisveränderungen bei der Medikamenteneinnahme, inkl. einer Überdosierung. Nahrungsergänzungsmittel (z. B. pflanzliche Produkte) sollten ebenfalls einbezogen werden.

Körperliche Untersuchung

Eine Untersuchung sollte sich, insbesondere bei Patienten, die nicht uneingeschränkt kooperieren, auf folgende Punkte konzentrieren:

  • Vitalzeichen

  • Hydrierungsstatus

  • Potenzielle Infektionsherde

  • Haut und Kopf und Nacken

  • Neurologische Untersuchung

Die Befunde können Hinweise auf die Ursache geben, wie bei den Folgenden:

  • Fieber, Meningismus oder Kernig- und Brudzinski-Zeichen sprechen für eine ZNS-Infektion.

  • Tremor und Myoklonus deuten auf Urämie, Leberversagen, Drogenintoxikation, Medikamententoxizität oder bestimmte Elektrolytstörungen (z. B. Hypokalzämie, Hypomagnesiämie) hin.

  • Fokale neurologische Anomalien (z. B. Hirnnervenlähmungen, motorische oder sensorische Defizite) oder ein Papillenödem sprechen für eine strukturelle ZNS-Läsion.

  • Kopfhaut- oder Gesichtsverletzungen, Blutergüsse, Schwellungen und andere Befunde von Kopfverletzungen legen ein Schädel-Hirn-Trauma nahe.

Tests

Zu den Tests gehören in der Regel:

  • CT oder MRT

  • Tests bei Verdacht auf Infektionen (z. B. Blutbild, Blutkulturen, Röntgenthorax, Urinalysis)

  • Bewertung für Hypoxie (Pulsoxymetrie oder arterielle Blutgase)

  • Die Messung von Elektrolyten, Blut-Harnstoff-Stickstoff, Kreatinin, Plasmaglukose und Blutspiegel von Drogen, die im Verdacht stehen, toxische Wirkungen zu haben

  • Ein Drogenscreening im Urin

Bei unklarer Diagnose können weitere Untersuchungen sein: Bestimmung von Leberwerten, Serumkalzium und Albumin, Thyreoidea-stimulierendem Hormon (TSH), Vitamin B12, Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit und/oder C-reaktives Protein (CRP)und antinukleären Antikörpern und ein Test auf Syphilis (z. B. Rapid-Plasma-Reagin-Test [RPR] oder Veneral Disease Research Laboratory [VDRL]).

Wenn die Diagnose weiterhin unklar ist, können die Tests eine Liquoranalyse (insbesondere zum Ausschluss einer Meningitis, Enzephalitis oder Subarachnoidalblutung), eine Serum-Ammoniak-Bestimmunung und Tests auf Schwermetalle einschließen.

Besteht der Verdacht auf nichtkonvulsive Anfallsaktivität, einschließlich Status epilepticus (erkennbar an subtilen motorischen Zuckungen, Automatismen und einem fluktuierenden Muster von Verwirrtheit und Schläfrigkeit), sollte eine Elektroenzephalographie (EEG) durchgeführt werden.

Wichtige Punkte

  • Ein Delir, das sehr häufig bei stationären älteren Patienten vorkommt, wird oft durch Arzneimittel, Dehydrierung und Infektionen (z. B. Harnwegsinfektion) verursacht, es kann aber auch viele andere Ursachen haben.

  • Ziehen Sie bei älteren Patienten ein Delir in Betracht, insbesondere bei solchen, die Gedächtnisstörungen oder Unaufmerksamkeit zeigen.

  • Die mit Familienmitgliedern, Betreuern und Freunden erhobene Anamnese und die Überprüfung des mentalen Status sind der Schlüssel zum Erkennen eines Delirs.

  • Beurteilen Sie Patienten mit einem Delir gründlich hinsichtlich möglicher neurologischer und systemischer Ursachen und Auslöser.

  • Überprüfen Sie die Medikamenteneinnahme des Patienten gründlich und setzen Sie alle Medikamente ab, die möglicherweise dazu beitragen.

  • Etwa 35–40% der hospitalisierten Patienten mit Delir sterben innerhalb eines Jahres.

  • Behandeln Sie die Ursache des Deliriums und stellen Sie unterstützende Pflege bereit, erforderlichenfalls auch mit Medikamenten, falls nötig.