Warum es so gut tut, aufs Meer zu schauen

Veröffentlicht am 7. Juli 2025 um 20:56

Frage & Antwort. „Das Meer gibt Kraft und Energie und ist oft der Anfangsimpuls, um Neues zu beginnen“, erklärt Psychologe Florian Schmid-Höhne, der seine Coachings nur noch am Meer gibt. Nicht nur für ihn kommt das Glück in Wellen.

Forschende der Carlton University und der Michigan State University untersuchten die Auswirkungen natürlicher Geräusche in US-Nationalparks. Das Ergebnis: Schon das bewusste Hören von Naturgeräuschen kann Schmerzen und Stress verringern, die Stimmung aufhellen und die kognitive Leistung verbessern. Wassergeräusche hatten dabei den größten Einfluss auf die Gesundheit und positive Gefühle.

An der deutschen Universität Witten/Herdecke wiederum wurde untersucht, wie Wellenrauschen das Erleben von Zahnarzt-Patienten beeinflusst: Jene, die mit Meeresrauschen beschallt wurden, blieben ruhiger, hatten weniger Angst und Schmerzen. Der Effekt verstärkte sich sogar, wenn Videos vom Meer gezeigt wurden, während Arzt oder Ärztin den Bohrer ansetzten. Aber vielleicht sollte man es überhaupt mehr mit Pippi Langstrumpf halten: „Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen.“

Sie befassen sich seit mehr als 20 Jahren wissenschaftlich mit der Wirkung des Meeres: Ihre Erkenntnis?

Florian Schmid-Höhne: Zu meinen Coachings am Meer kommen unglaublich gestresste Menschen. Manche sind völlig fertig, ausgebrannt, haben ein Burnout. Am erstaunlichsten ist für mich, dass diese Menschen schon nach wenigen Tagen merklich entspannter sind. Und wenn sie dann ins Meer eintauchen, spürt man, wie sich die Energie des Meeres auf sie überträgt und wie sie wieder diese kindliche Freude am Leben zurückgewinnen.

Warum tut es so gut, aufs Meer zu schauen?

Das hat einerseits mit der Weite zu tun, aber auch damit, dass das Wasser immer in Bewegung ist. Auch das Blau tut uns gut, es entspannt uns. Und dann kommt noch das gleichmäßige Rauschen der Wellen dazu. Das ist etwas, das uns richtig einlullen kann und ein Gefühl der Geborgenheit gibt. Das Meer ist sinnlich. Meer und Küste sind eine Gegenwelt zum Alltag, die einem den nötigen räumlichen und emotionalen Abstand bieten, um in Ruhe die eigene Situation zu reflektieren. Das Meer ist oft der Anfangsimpuls, um etwas Neues zu beginnen, um Dinge zu verbessern. Tiefenpsychologen gehen davon aus, dass uns Meeresrauschen an den Mutterleib erinnert. Wir fühlen uns geborgen.

 

Weil das Meer auch ein so analoges Medium ist?

Es ist der Inbegriff von Natur, die man nicht kontrollieren kann. Für manche ist es zwar auch beängstigend, aber für die meisten ist es befreiend. Es ist etwas, das man nicht via Computer kontrollieren kann, sondern dem man ausgesetzt ist.

 

 

Ist es auch dieses Gefühl, dass die Zeit scheinbar stillsteht, was so gut tut?

Ja, das hat vermutlich auch mit den Wellen zu tun, die kommen und gehen. Thomas Mann beschreibt das hervorragend in „Der Zauberberg“, wo Hans Castorp in Gedanken an einem Strand entlangspaziert und dabei schildert, wie die Zeit stillzustehen scheint. Die gleichmäßigen Wellen führen dazu, dass man das Zeitgefühl verliert und wirklich im Hier und Jetzt ist.

 

Das Meer gibt Ruhe, spendet Energie, ist ein Ort der Selbstreflexion: Und das hilft uns?

Weil jeder seine Gefühle und die Themen, die sie oder ihn beschäftigen, auf das Meer projizieren kann und die Emotion quasi greifbar wird. Die Weite des Meeres relativiert außerdem so manche Probleme. Und gerade in turbulenten Zeiten kann es sehr helfen, wenn man mit einem gewissen Abstand auf seine Sorgen schauen kann.

Ein Aufenthalt am Wasser senkt den Cortisolspiegel. Das Gehirn schaltet in einen ruhigeren Modus. Kann das Meer heilen?

Im Mittelalter war das Meer noch ein Schreckgespenst und löste Angst aus. Das änderte sich mit der Aufklärung und dem Aufkommen der Kurorte im 18. Jahrhundert. Da tauchte der Gedanke auf, dass das Meer körperlich und psychisch heilend wirkt. Die Melancholie hat man damals am Meer behandelt. Bei neurologischen Untersuchungen fand man heraus, dass Wellenreiten mit dem Meditieren von Mönchen vergleichbar ist.

 

 

Der Blauanteil in Bildern wirkt sich nachweislich positiv auf Menschen aus: Sollen wir uns mit blauen Bildern umgeben?

Es schadet nicht. Wasser ist evolutionsbedingt absolut notwendig, für unsere Vorfahren war Wasser entscheidend fürs Überleben. Wir haben abgespeichert, dass es uns gut tut.

Was tun, wenn man das Meer braucht, es aber gerade nicht in der Nähe ist?

Was ich mit meinen Teilnehmern immer mache, die ja nur ein paar Tage hier sind und dann wieder zurück in ihren Alltag gehen: Am Morgen vor dem Coaching machen wir Entspannungsübungen am Meer, die sie dann auch zu Hause machen sollen, womit sie sich an die entspannte Zeit am Meer wieder erinnern. Ein See kann einen ähnlichen Effekt haben. Aus psychologischer Sicht ist es jedenfalls sehr anzuraten, regelmäßig ans Meer zu fahren und dort innerlich aufzutanken.

 

Kann man das Meer-Gefühl konservieren?

Man kann Phantasiereisen machen, also die Augen schließen und sich vorstellen, dass man am Meer ist. Oder man erinnert sich an das Wellenrauschen, an den Geruch oder auch an den salzigen Geschmack.

 

Was ist das Meer für Sie selbst?

Einen Großteil meiner Kindheit verbrachte ich auf Teneriffa, umgeben vom Atlantik. In meiner Jugend war ich Leistungssportler in der deutschen Basketball-Bundesliga und lernte früh, mit Druck und Stress umzugehen und gleichzeitig auf den nötigen Ausgleich zu achten. Das Meer gibt mir Kraft und Energie, ganz besonders beim Wellenreiten. Danach fühle ich mich wie neugeboren. Coaching in Räumen könnte ich nicht mehr anbieten. Ich profitiere von der maritimen Umgebung ebenso wie die Gecoachten, sei es, wenn wir beim Coachen auf einer Klippe mit einem atemberaubenden Blick sitzen oder ich nach Abschluss eines Coachings surfen gehe.

Zur Person:

Florian Schmid-Höhne, Jahrgang 1977, aufgewachsen großteils auf Teneriffa, war Leistungssportler in
der deutschen Basketball-
Bundesliga, studierte Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er bietet Burnout-Coachings auf Sylt und in Portugal an.
Buchtipp: Die Meere in uns. Eine psychologische
Untersuchung über das Meer als Bedeutungsraum.
tredition, 2018, 232 Seiten, 20,55 Euro.
swellness.de

Verfasser: Gerhard Hacker von Lebenswege